Oberalp bleibt in Myanmar
Wir sind uns bewusst, dass die Situation in Myanmar komplex ist und dass die Beibehaltung unserer Produktion im Land Risiken birgt. Allerdings glauben wir auch, dass ein Ende der Beziehung zu unseren Lieferanten die Situation für die Menschen, die unsere Produkte herstellen, nur verschlechtern würde. Die Einhaltung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht ist schwieriger als früher, aber möglich. Dieser Einschätzung gingen Konsultationen mit lokalen Interessengruppen voraus, die Lektüre vieler Situationsberichte, und die Bewertung der Geschehnisse in unseren Partnerfabriken in Myanmar.

 

 

Hintergrund 

Am 1. Februar 2021 übernahm die Armee in Myanmar in einem Militärputsch die Macht, verhaftete die nur kurz vorher gewählte Regierungschefin Aung San Suu Kyi und die Vorstände ihrer Partei und verhängte in mehreren Landesteilen das Kriegsrecht. Hunderttausende Bürger:innen gingen auf die Straße, um sich der Machtübernahme durch die Armee zu widersetzen. Das Militär reagierte mit Gewalt, unterdrückte die Menschenrechte, schränkte die bürgerlichen Freiheiten ein und verhaftete Menschenrechtsverteidiger:innen, darunter auch Arbeitnehmeraktivist:innen. Aufgrund der Eskalation von Gewalt und Repression haben viele von ihnen das Land verlassen. 

 
Die politischen Umstände und auch die Geschichte Myanmars waren bereits vor dem Putsch kompliziert. Von 1962 bis zu den ersten freien Wahlen im Jahr 2015 wurde das Land von einer Militärjunta regiert. Der internationale Handel begann bereits einige Jahre zuvor zu wachsen: Unternehmen aus China und Korea bauten Fabriken und luden westliche Marken ein, in Myanmar zu produzieren. Als wir beschlossen, die Zusammenarbeit mit Fabriken dort aufzunehmen, fügten wir aufgrund der besonderen Risiken dort zu den bei uns üblichen Verfahren für die Aufnahme neuer Lieferanten „verstärkte Sorgfaltspflichten“ hinzu, um das Risiko von Kinderarbeit besser einzuschätzen und Verbindungen zwischen den Fabriken und dem Militär auszuschließen. 

 

Produktion in Myanmar 

Unsere Zusammenarbeit mit Fabriken in Myanmar begann im Jahr 2014. Derzeit findet ein Teil unserer Produktion in zwei Fertigungsstätten in der Stadt Yangon statt. Wie alle Fabriken, mit denen wir zusammenarbeiten, haben auch diese Partner unseren Verhaltenskodex unterzeichnet und verpflichten sich, sichere und menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu gewährleisten. 

 
Es steht außer Frage, dass sich für in Myanmar produzierende Marken durch die wirtschaftlichen Vorteile des Landes ein Anreiz bietet. Ebenso unbestreitbar ist jedoch, dass eine Produktion in Myanmar nicht „business as usual“ ist. 

Wie alle europäischen Marken, die in Myanmar einkaufen, profitieren wir direkt von den wirtschaftlichen Vorteilen aus der EBA-Regelung der EU für Exporte aus Myanmar. 

Ziel der EBA ist die Förderung der Entwicklung in Myanmar durch internationale Händler, welche im Gegenzug finanzielle Vorteile genießen. So wie wir EBA verstehen, gehen diese Vorteile allerdings auch mit Verpflichtungen Hand in Hand. 

 
Zu unseren Verpflichtungen gehört, dass wir in den Fabriken, in denen unsere Produkte hergestellt werden, eine erhöhte Sorgfaltspflicht durch außergewöhnliche Maßnahmen walten lassen. Diese erfolgen im Rahmen der UNGP für Menschenrechte und des OECD-Leitfaden für „Die Erfüllung der Sorgfaltspflicht zur Förderung verantwortungsvoller Lieferketten in der Bekleidungs- und Schuhwarenindustrie“. Damit wollen wir sicherstellen, dass die Rechte der Arbeiter:innen geachtet und ihre Situation verbessert wird: Durch die besonderen Umstände in Myanmar ist die Sicherheit der Arbeiter:innen stärker gefährdet und häufig haben sie Angst davor, Probleme anzusprechen. Wir müssen also sicherstellen, dass wir sie nicht noch mehr Gefahren aussetzen oder, dass gar Geschäfte auf ihre Kosten gemacht werden. 

 
Wir sind uns bewusst, dass wir in diesem Zusammenhang die Fabriken genauer unter die Lupe nehmen müssen. Wir müssen sicherstellen, dass sie auf unserer Augenhöhe und zur Zusammenarbeit bereit sind. Wir müssen dafür einstehen, dass sie mit anderen Fabriken und lokalen Akteuren zusammenarbeiten, um aktiv Arbeitnehmerrechte zu verwirklichen. Und genau das machen wir. 

 

Wir überwachen die Lage vor Ort 

Nach dem Staatsstreich forderten einige Nichtregierungsorganisationen den Rückzug aus Myanmar: angesichts der Eskalation des internen Konflikts sei keine Sorgfaltspflicht mehr möglich. Einige Marken, für die es schwierig ist, in ihren eigenen Lieferketten eine Sorgfaltsprüfung durchzuführen, sind der Forderung nachgekommen oder haben es vor. Wir verfolgen die Entwicklung im Land sehr aufmerksam und bleiben durch umfangreiche Recherchen und Berichte vor Ort auf dem Laufenden. Und natürlich haben auch wir uns gefragt, ob wir uns aus dem Land zurückziehen sollten.  

 

Trotz der widrigen Umstände haben wir uns für einen Verbleib entschieden. Unsere Entscheidung ist das Ergebnis sorgfältiger Überlegungen und stützt sich auf drei Säulen: Erstens, der Ablauf unserer eigenen Prozesse; zweitens, was die in Myanmar tätigen Organisationen berichten sowie die dortigen Projekte zur Verbesserung des Lebensstandards der Arbeiter:innen; und drittens, die Art unserer Partnerschaften. 

Letzten Endes ist eine Aufrechterhaltung der Sorgfaltspflicht schwieriger als früher, aber nicht unmöglich. 

 

Unsere Prozesse 

Unsere Lieferanten haben uns mitgeteilt, dass Geschäfte ohne Einmischung des Militärs möglich sind.  Aufgrund unserer langjährigen Zusammenarbeit mit ihnen und aufgrund sorgfältiger Bewertungen der Fabriken wissen wir, dass sie über gute Systeme zur Einhaltung sozialer Standards verfügen. In offenen und transparenten Gesprächen versichern sie uns, dass es möglich ist, weiterhin in Myanmar zu produzieren, dass sie die Arbeitsbedingungen im Unternehmen weiterhin respektieren und verbessern, und uns alle notwendigen Informationen zur Verfügung stellen, sowie externen Sachverständigen Zugang gewähren, um Audits durchzuführen. 

Sie sind bereit, Maßnahmen zu prüfen oder zu verstärken, die zur Verbesserung der Arbeitssituation, einschließlich der Löhne, beitragen, oder welche die Planung verbessern, um Überstunden und Stress zu abzubauen oder zu reduzieren.  Dazu gehört auch die Zusammenarbeit mit Arbeitnehmerorganisationen und die Förderung von Beschwerdemechanismen, sowie der Austausch mit lokalen Akteuren, um die Entwicklung der Fähigkeiten und die Stärkung der Handlungskompetenz der Arbeiter:innen zu ermöglichen. 

 

In den vergangenen Monaten haben sich unsere Fabriken als verlässliche Partner erwiesen, die in der Lage sind, alle angeforderten Informationen umgehend und transparent zu liefern. 
Sie haben deutlich gemacht, dass andere Fabriken in der Region – und ihre derzeitigen und ehemaligen Beschäftigten – unter dem Ausstieg anderer Marken und der Krise des lokalen Marktes leiden. 

 
Unsere Einkaufsmitarbeiter:innen stehen in ständigem Kontakt mit den Fabriken. Auch besuchen zwei Qualitätskontrolleure aus Myanmar die Fabrik fast täglich: Sie bestätigen, dass es weiterhin möglich ist, dort zu arbeiten, wenn die Anstrengungen zur Bewältigung der schwierigen Bedingungen verstärkt werden. 

 

Externe Berichterstattung 

Berichte, die sich mit der Situation der Arbeitnehmer:innen und mit der Wirtschaft des Landes befassen, bestätigen, dass die Sorgfaltspflicht schwieriger sei als früher, aber weiterhin möglich. Die Daten klären auch die Zweifel an der Finanzierung der Streitkräfte durch im Land tätige internationale Marken. Sie zeigen, dass der Bekleidungssektor keine bedeutende Einnahmequelle für die Militärjunta darstellt. Daher können wir eine indirekte Verbindung zwischen uns, unseren Partnern und dem Militär ausschließen. 

Die beiden Fabriken, mit denen wir zusammenarbeiten, befinden sich weder ganz noch teilweise im Besitz eines der beiden vom Militär kontrollierten Wirtschaftskonglomerate. Sie stehen in Industriegebieten, die nicht dem Militär gehören. Daher können wir auch hier eine indirekte Verbindung zum Militär ausschließen. 

Als Markenhersteller können wir die Fabriken nicht allein überwachen und die objektiven und wahrgenommenen Risiken nicht vollständig verstehen; wir brauchen Vermittler und vertrauenswürdige lokale Partner, die uns helfen, die Situation zu analysieren und mit größerer Präzision und Wirkung zu handeln. 

 
Unsere Partnerschaften 

Lokale Interessengruppen und Projekte mit langjähriger Erfahrung vor Ort, die mit den Fabriken und vor allem mit den Arbeiter:innen zusammengearbeitet und Interviews mit ihnen geführt haben, drängen uns, zu bleiben. „Indem man sich als Unternehmen an Gesprächen mit lokalen Arbeitnehmerrechtsgruppen über Löhne und Arbeitsbedingungen beteiligt, kann man Einfluss nehmen. Indem man das Land verlässt, wird es schwierig zu sehen, wie man Einfluss auf die örtlichen Bedingungen nehmen kann.“ (Karina Ufert - CEO EuroCham Myanmar). 

 

Unser wichtigster lokaler Akteur für die Durchführung der in Myanmar geforderten verstärkten Sorgfaltspflicht ist das MADE-Projekt. Dieses wird von der Europäischen Union co-finanziert, die Mitarbeiter:innen sind Fachleute mit umfassenden Erfahrungen in diesem Bereich. MADE bringt lokale Interessengruppen und internationale Marken zusammen, die sich für Schutz und Stärkung verantwortungsvoller Geschäftspraktiken einsetzen, mit Fokus auf die Einführung und Einhaltung hoher Standards in den Bereichen Umwelt, Soziales, Menschenrechte und Gleichstellung der Geschlechter. 

Die größte Komponente von MADE ist das SMART-Factorys-Programm. Dieses ermöglicht uns die Bewertung der Einhaltung sozialer Standards und des Chemikalienmanagements und hilft uns dabei, Fortschritte bei der Förderung des Dialogs am Arbeitsplatz zu erzielen. Das SMART-Programm läuft in Myanmar seit 2019, und die beiden Fabriken, mit denen wir zusammenarbeiten, wurden und werden weiterhin im Rahmen dieses Programms überwacht. Wir werden die Ergebnisse dieser Bewertungen und die erzielten Verbesserungen transparent und kontinuierlich kommunizieren. 

 
Ein weiterer wertvoller Interessensvertreter und Partner, der uns regelmäßig über die Situation des Landes und der Branche informiert, ist die Europäische Handelskammer (EuroCham) Myanmar. In Gesprächen mit ihren Mitgliedern und auf internationalen Veranstaltungen setzt sie sich dafür ein, dass Unternehmen in Myanmar bleiben: Es sei „in der gegenwärtigen Situation wichtiger denn je, dass sich all diejenigen, die aus Myanmar Waren beziehen, darauf konzentrieren, menschenwürdige Arbeit zu gewährleisten. Darin inbegriffen sind Sicherheit, existenzsichernder Löhne und Vereinigungsfreiheit für alle – einschließlich der Frauen, welche eine überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmenden ausmachen.“ 

Die 151 europäischen Unternehmensmitglieder erhalten täglich aktuelle Informationen über die Lage vor Ort (Sicherheit, Wirtschaft und Politik) und haben die Möglichkeit, an monatlichen Branchentreffen und thematischen Veranstaltungen mit externen Akteuren wie dem EU-Botschafter, der OECD und der Weltbank teilzunehmen. Da wir in der Textilindustrie aktiv sind, nehmen wir an der EuroCham Myanmar Garment Advocacy Group teil. Hier treffen sich 35 europäische Marken, welche in Myanmar einkaufen und produzieren. 

 
Wir sind Mitglied von MADE und EuroCham Myanmar und dank ihrer regelmäßigen Aktualisierungen und Beratung zu den Fabriken und der Situation im Land sind wir in der Lage, unsere Fabriken in Myanmar einer verstärkten Sorgfaltspflichtsprüfung zu unterziehen. Dabei berücksichtigen wir die neuesten Informationen und Empfehlungen, je nach örtlichen Risiken und Kontext. 

 
Die Fair Wear Foundation, unsere langjährige und wichtigste Partnerin bei der Einhaltung sozialer Standards in den Fabriken, hat eine eigene Bewertung der aktuellen politischen Lage vorgenommen und stellt zusätzliche Anforderungen an Mitglieder, die in Myanmar bleiben wollen. 

Diejenigen Marken, die weiterhin in dem Land einkaufen, sollen sie erklären, wie sie unter diesen schwierigen Umständen eine erhöhte Sorgfaltspflicht erfüllen wollen. Sie sollen sicherstellen, dass es den Arbeiter:innen frei ist, sich über die Vereinigungsfreiheit oder Beschwerdemechanismen zu beschweren, dass ihre Rechte respektiert werden. Das bedeutet für die Arbeiter:innen: keine Zwangsarbeit oder übermäßige Überstunden, klare Verträge und faire Löhne und, dass sie keinen Sicherheitsrisiken ausgesetzt sind. Darüber hinaus müssen die Marken die Risiken für Arbeiterrechte ermitteln und angehen, Nachweise für eine glaubwürdige Informationsbeschaffung erbringen und ständig über Fortschritte berichten. Da wir beschlossen haben, in Myanmar zu bleiben, werden wir uns an diese sehr anspruchsvollen und schwierigen Vorgaben halten. Wir sind aber zuversichtlich, dass es die Mühe wert ist! 

 
Die Situation ist komplex und birgt viele Risiken, aber wir wollen unsere Beziehungen zu den Fabriken aufrechterhalten und weiterhin Waren aus Myanmar beziehen. Wir sind überzeugt, dass es sich lohnt und dass wir durch unsere Sorgfaltspflicht und die Zusammenarbeit mit unseren Partnern einen positiven Einfluss auf die Arbeiter:innen in den Fabriken haben werden. 

 
Wenn ihr gerne weitere Informationen hättet über die Ergebnisse der Überwachungsmaßnahmen, die durchgeführten spezifischen Maßnahmen oder die beteiligten lokalen Akteure, sendet eure Fragen bitte an contribute@oberalp.com oder an martine.riblan@oberalp.com

Glossar

(Menschenrechtliche) Sorgfaltspflicht: Verfahren zur Ermittlung und Bearbeitung tatsächlicher und potenzieller Risiken für die Menschenrechte der Arbeitnehmer:innen, die sich aus der Geschäftstätigkeit des Unternehmens und der Art der Lieferkette ergeben. 

 
UNGP - Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte (United Nations Guiding Principles on Business and Human Rights): Prinzipien aus 31 Grundsätzen, welche die drei Säulen „Protect“ (Schutz), „Respect“ (Achtung) und „Remedy“ (Wiedergutmachung) umsetzen. Die jeweiligen Rollen und Verantwortlichkeiten von Staaten und Unternehmen bei der Gewährleistung der Achtung der Menschenrechte durch Unternehmen sind darin ebenfalls festgehalten. 

 
OECD –  Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Co-operation and Development): Internationale Organisation, die sich für eine bessere Politik zur Förderung von Wohlstand, Gleichheit, Chancen und Wohlergehen einsetzt. 

 
EBA – Alles außer Waffen (Everything But Arms): Mit der EBA-Regelung werden Zölle und Kontingente für alle Einfuhren von Waren (außer Waffen und Munition) aus den am wenigsten entwickelten Ländern in die EU abgeschafft. 

 
NGO – Nichtregierungsorganisation (Non Governmental Organisation): Gruppe freiwilliger Einzelpersonen oder Organisationen, die unabhängig von einer Regierung agiert; ihr Ziel ist es in der Regel, ein soziales oder politisches Problem anzugehen. 

 
MADE in Myanmar Project – Multi-Stakeholder Alliance für menschenwürdige Beschaffung in der Bekleidungsindustrie Myanmars: Projekt mit Schwerpunkt auf dem Bekleidungs-, Textil- und Schuhsektor, das von der Europäischen Union finanziert wird und eine Laufzeit von vier Jahren bis Ende 2026 hat. 

 
SMART Factories Program: Programm im Rahmen von MADE, das die Einhaltung und Überwachung von Menschenrechten, Sozial- und Umweltstandards durch Bewertungen, Beratungsprogramme und Workshops zum Ziel hat. 

 
EuroCham – Europäische Handelskammer in Myanmar: Einrichtung mit der Hauptaufgabe, die Präsenz europäischer Unternehmen im Land zu erhöhen und die an der Umsetzung des Projekts MADE in Myanmar mitarbeitet. 

 
FWF – Fair Wear Foundation: unabhängige, gemeinnützige Organisation, die sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken einsetzt.